Dann ist der Drang wegzurennen, sich zu verstecken wie ein Reflex. Im litauischen Klaipeda gibt es viele BMWs, auch rote. Zum Glück haben nur wenige ein deutsches Kennzeichen wie der, in dem ihr Martyrium begann. Sie hat auch nie danach gefragt. Denn Gerd roch nach Lagerfeld. Von ihrer Zeit in Deutschland erzählt sie, als wäre sie vor Jahren dort gewesen. Dabei ist sie erst seit einigen Monaten zurück in Klaipeda. Die Freunde von einst meidet sie, aus Angst, erklären zu müssen, warum sie schon nach drei Monaten das Land, von dem hier alle träumen, wieder verlassen hat.
Der alten Dame hat das genügt. Oxana ist ihr dankbar dafür. Denn nichts hat gestimmt von dem, was der charmante Gerd ihr im vergangenen Juli am Ostseestrand erzählt hatte. Fast nichts. Auch sein Versprechen, sie mit dem roten BMW nach Hamburg zu bringen, löste er ein. Dort wartete Wladimir, ein Freund von Gerd. Als sie sich weigerte, schlug er ihr ins Gesicht. Einmal genügte, die 18jährige begriff sofort, was von ihr verlangt wurde.
Oxana war nun eine von rund Huren, die nach offiziellen Schätzungen in der Bundesrepublik anschaffen. Keine Gruppe unter den Prostituierten wächst so rapide wie die der Frauen aus Osteuropa.
Mehr als ein Drittel der Profi-Huren in Deutschland, schätzen Experten, stammt inzwischen aus Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechien und aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion. Unter den wenigen Opfern von Frauenhändlern, die das BKA registrieren kann , halten die Ost-Huren mit 84 Prozent den Spitzenplatz, knapp zwei Drittel sind zwischen 18 und 25 Jahren alt.
Die Kalkulation der Zuhälter ist simpel: Der Import von jungen Frauen etwa aus dem fernen Asien oder Südamerika ist teurer und komplizierter als der kurze Trip nach Posen, Warschau, Prag oder Budapest. Die Lieferzeit für »Nachschub« aus Tschechien oder der Ukraine liegt zudem nur bei wenigen Tagen. Zwischen einigen hundert und zehntausend Mark - je nach Alter und Aussehen - zahlen Zuhälter den Schleppern pro Frau. Oxanas erster Freier kam am frühen Morgen.
